Zum Tod von Peter Bichsel am 15. März 2025

Peter Bichsel beginnt eine von den sieben Geschichten über alte Männer, von denen er in «Kindergeschichten» (1969, u.ö.) erzählt, auf folgende Weise: «Ich habe die Geschichte, von einem Mann, der Geschichten erzählt-Ich habe ihm mehrmals gesagt, dass ich seine Geschichte nicht glaube. […] Das beeindruckte ihn nicht. Er erzählte ruhig weiter, und als ich rief: ´Sie Lügner, Sie Schwindler, Sie Phantast, Sie Betrüger!’ da schaute er mich lange an, schüttelte den Kopf, lächelte traurig und sagte dann so leise, dass ich mich fast schämte: Ámerika gibt es nicht.´ Ich versprach ihm, um ihn zu trösten, seine Geschichte aufzuschreiben.»  Und dann folgt eine Geschichte, mit der der Erzähler seine Behauptung, Amerika gäbe es nicht, zu beweisen versucht, dass seine Erzählung über die Entdeckung Amerikas von ihm erfunden worden sei, obwohl seit Amerigo Vespucci Millionen von Menschen über ihre Reise und ihren Aufenthalt in Amerika berichten. Peter Bichsel fasst diese Geschichte über den Erzähler mit zwei Sätzen zusammen. «Aber immer noch streiten sich die Leute darüber, wer Kolumbus wirklich war. Ich weiss es.» Holt der erste Satz den Leser auf den Boden einer noch heute geführten historischen Debatte zurück, so rettet der Schlusssatz durch die diskrete Wahrung der Identität des Erzählers dessen Ehre. Was ist die Ehre des Erzählers? Trotz der zu Beginn der Erzählung «Amerika gibt es nicht» geäusserten Vorbehalten lässt sie sich immer wieder erzählen treten neue Aspekte in den Vordergrund – wie ein Kaleidoskop, das mit jeder Drehung neue Farbkonstellationen sichtbar werden lässt.

Bei der Verleihung des Gottfried Keller-Preises 1999 an Peter Bichsel hat der Literaturwissenschaftler Peter von Matt ihn nicht nur als einen Erzähler beschrieben, sondern als einen intensiven Leser gepriesen. «Wilhelm Meisters Wanderjahre» und Jean Pauls Werke sind jene Texte, von denen er ständig zehrt, weil er diese Werke «erzählerisch» liest. Peter von Matt ordnet ihn jene Autorengruppe ein, die «nach dem Ende des alten Erzählens, und all sein Erzählen ist Erinnerung daran, ist Erzählen als Gedenken an das alte Erzählen.»

Es ist darum nicht überraschend, dass Peter Bichels Werk auch das Interesse von Theologen gefunden hat: Die Theologische Fakultät der Universität Basel verlieh ihm 2004 den Ehrendoktor der Theologie. Hier ist nicht der Ort, diese Auseinandersetzung zu rekonstruieren, wohl aber an die Dankesrede von Peter Bichsel zu erinnern. Er schildert darin eine nächtliche Eisenbahnfahrt, die er mit einem ägyptischen Feuerwehroffizier als zufälligen Reisebegleiter erlebt hat. Nachdem beide sich als Bücherliebhaber zu erkennen geben haben, resümiert Peter Bichsel einen komplexen Dialog über das Lesen «Heiliger Texte», bis die beiden die Ankunft in Assuan die beiden trennt. Erst in diesem Augenblick offenbart Peter Bichsel seinen Zuhörern, dass sein Reisebegleiter kein Englisch verstand und er kein Arabisch sprechen könne: «Trotzdem, wir verstanden uns. Könnte es sein, dass wir uns übers Lesen verstanden haben, über das ähnliche Lesen – über das Lesen des Unverständlichen.» Dieser Schlusssatz überrascht; sogleich beginnt man wieder den Bericht über das Gespräch während der nächtlichen Bahnfahrt zu lesen. Man ahnt das Unausgesprochene in dieser Begegnung und es lässt einem nicht los.

Peter Bichsel starb am 15. März 2025, wenige Tage vor seinem 90. Geburtstag. Eine Reihe seiner Bücher findet sich in der Jesuitenbibliothek.

Zurück